In einem Ökosystem der funktionierenden Kreisläufe gerät schon mal in Vergessenheit, ob das Huhn oder das Ei zuerst da war. Fataler ist, wenn in einem menschengemachten System funktionierende Kreisläufe an sich in Vergessenheit geraten. Ist es möglich, die moderne Wirtschaft als Kreislauf neu zu erfinden?
Ich habe keine Prognose zu bieten und wollte eigentlich auch nur für einen Link bezüglich Recycling im Bauwesen etwas Kontext haben. Aus diesem Kaninchenbau komme ich nur mit ein paar Orientierungspunkten, dafür aber gar nicht mal so kompakt…
Als übergeordneten aktuellen Zusammenhang kann man die Konsum-und Wegwerfgesellschaft sehen, und entsprechend bezieht sich die Kreislaufwirtschaft auch nicht nur auf Wirtschaftsunternehmen oder Material, sondern auch auf das Verhalten von uns allen.
Eine Definition
Hinter der Verwendung des Begriffs ‘Kreislaufwirtschaft’ versammeln sich verwirrend unterschiedliche Definitionen, Konzepte und Ziele. Es gibt sie auch nicht nur als umfassendere Version und Zukunftsvision, sondern ebenso als kleinen Teil des status quo, auf Abfallwirtschaft konzentriert. Seit 1996 ist ein Bundesgesetz so benannt und Recycling ist hierzulande ja auch schon ein alter Hut…
Im Geiste dieses Forums darf es gerne mehr und systemisch sein!
International spricht man dann von Circular Economy (CE) und um Verwechslungen zu vermeiden, wird häufiger auf eine Übersetzung verzichtet (s. LINK S. 11 ). Oder man verwendet den deutschen Begriff und macht deutlich, dass man eine CE meint. Aktuell wird unter Federführung des Umweltministeriums eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) für die “Transformation hin zu einer zirkulären Wirtschaft” entwickelt (https://dialog-nkws.de/bmuv/de/home/informieren). Sollte am Ende dieses Beteiligungsprozesses ein umfassendes Konzept stehen, ist Papier natürlich geduldig, aber als Öffentlichkeit könnte man solche Momente nutzen, die Politik beim Wort zu nehmen.
Es gibt schlankere Definitionen als die folgende, aber im Rahmen einer Analyse von 221 Definitionen hat man Prinzipien, Ziele und Beteiligte erfasst, um dann zu schauen, wer was betont.
"Die Kreislaufwirtschaft ist ein regeneratives wirtschaftliches System, das einen Paradigmenwechsel voraussetzt, der den endgültig ausscheidenden Verbrauch von Materialien/Produkten [im Original: ‘end of life’ concept] ersetzt durch das Reduzieren, alternativ das Wiederverwenden, Recycling und energetische Verwerten [recovering] von Materialien über die ganze Lieferkette hinweg,
mit dem Ziel Werterhalt und eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben, ökologische Qualität, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gleichheit zu schaffen
– zum Vorteil gegenwärtiger und zukünftiger Generationen.
Dies wird ermöglicht durch eine Allianz von Stakeholdern (Industrie, KonsumentInnen, polit. EntscheidungsträgerInnen, Wissenschaft) und ihre technologischen Innovationen und Fähigkeiten."
(Kirchherr et al: Conceptualizing the Circular Economy (Revisited): An Analysis of 221 Definitions. (2023, LINK Übersetzung und Absätze von mir)
Diese Darstellung als Gleichung mit sehr vielen Variablen scheint mir passend, nur sollten die erwähnten Stakeholder deshalb erst Recht Farbe bekennen, wie sie sich die Ausgestaltung konkret vorstellen.
Natürliche Systeme als Inspiration
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In natürlichen Systemen nähren Ausscheidungen und auch die Überreste eines Elements andere Elemente (‘waste = food’)
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Diversität macht diese Systeme widerstandsfähiger.
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Natürliche Systeme basieren auf erneuerbarer Energie (Sonne).
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Sie funktionieren im Zusammenwirken verschiedener Elemente, eben als System.
(nach https://www.youtube.com/watch?v=BknvimtSQjk)
Menschengemachte Systeme hatten anfangs auch einen solchen Kreislaufcharakter, inzwischen dominiert lineares Wirtschaften des ‘take make waste’ mit den bekannten Folgen hinsichtlich Ressourcen, Energieverbrauch und Nebenwirkungen. Es wird zwar in Systemen gedacht, aber eben in Teilsystemen und so als wäre ihr Input unendlich und ihr Output folgenlos. Dieser Output wiederum wäre undenkbar ohne die ‘Emanzipation’ von erneuerbarer Energie mit der Industrialisierung.
Mit der Kreislaufwirtschaft kann man nun die Vorstellung verbinden, dass das menschliche Wirtschaften funktionieren könnte ohne das Gesamtsystem ‘(Gut bewohnbarer) Planet’ entgleisen zu lassen. Die Hälfte einer Kreislaufwirtschaft, die sich auf die Biosphäre bezieht, soll diese durch verträgliche Landwirtschaft (Perma- statt Monokultur, Verzicht auf schädliche Dünger etc.) oder die Verwendung von abbaubaren Bio-Materialien schonen bzw. sogar fördern. Etwas näher will ich hier aber auf die andere Hälfte des ‘Schmetterlings’ (Link) eingehen, die eine neu organisierte Technosphäre darstellen soll.
Die Rs
Um dem menschlichen Alleinstellungsmerkmal ‘Müllproduktion’ Herr zu werden, kann man sich an einer Hierarchie der Umgangsweisen mit Materialien orientieren. Die kreislauffreundlichen Aktionen mit der Vorsilbe re- werden gern zu 3, 4 oder mehr “Rs” gebündelt. Hier sind 10, weil ich die Abgrenzungen zumindest interessant finde, teilweise mit Unterscheidung Nutzungsseite // Produktionsseite.
- Refuse (Ablehnen):
Gar nicht erst kaufen o. nutzen // Etwas nicht herstellen o. bestimmte Materialien nicht verwenden. Etwas überflüssig machen. - Rethink (Umdenken): v.a. was Kopplung von Nutzen u. Besitzen angeht. Teilen senkt Produktion und erhöht Ausnutzen des Produzierten. Beim Design auf Reparierbarkeit achten etc.
- Reduce (Reduzieren): Durch mehr Effizienz weniger Materialverbrauch
- Reuse (Wiederverwenden lassen): Produkt nicht teilen, aber weitergeben-/verkaufen. // Dasselbe mit Maschinen z. B.
- Repair (Reparieren): Etwas Defektes wird wieder funktionstüchtig gemacht statt weggeworfen.
- Refurbish (Restaurieren u. updaten): Etwas wird nicht nur repariert, sondern aufgewertet
- Remanufacture (Zusammensetzen): Intakte Produktkomponenten werden woanders eingebaut
- Repurpose (Umwidmen): Produkte/Komponenten werden woanders eingesetzt und in anderer Funktion, z. B. als Möbel.
- Recycle: Rohstoffe zurückgewinnen und das schon bei der Produktion vorbereiten. Wenn Material danach z. B. nur noch als Füllstoff fungiert, spricht man auch von Downcycling.
- Recover (Energetisch verwerten): Nicht im engeren Sinn zirkulär, aber durch Verbrennung wird zumindest noch Nutzenergie erzeugt im Unterschied z. B. zur Vermüllung der Meere…
(ausgehend von https://prosperkolleg.ruhr/wp-content/uploads/2022/05/rethink_22-03_r-strategien.pdf; 5 Rs mit low- und high tech Lösungen s. auch hier unter table 2 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S092180091931972X)
Hier noch eine Anwendung auf den Bereich Automobilität LINK
Manche der Rs könnten hier im Forum als Schlagworte nützlich sein, um Beispiele aus ganz unterschiedlichen Bereichen zu verknüpfen.
In einem zweiten Teil werde ich nur noch ein paar zusätzliche Aspekte anreißen.
Das sind sehr grundsätzliche Fragen, die an allem rütteln, wie wie leben. Gesellschaftlich gesehen gab es anscheinend bisher innerhalb des kapitalistischen Systems erst ein einziges Beispiel für eine Ökonomie ohne Wachstum. Um den 2. Weltkrieg herum wurde in England die Versorgung über Gutscheine sichergestellt, nicht mehr über Geld. Wie so ein Experiment in unseren Tagen aussehen könnte, ist sehr spannend. Eine Rolle wird sicher die Inflation spielen, gegen die ja sehr wenig unternommen wird. Eine andere die Ausweitung der Überwachung und Kontrolle. Wie sieht dann die Verteilung der Güter aus? Die bestehenden Regierungen haben bei vielen das Vertrauen in eine sozial ausgewogene Gestaltung der Veränderung verloren. Politik wird nicht mehr für die Bürger gemacht, das ist sehr gefährlich. So bleibt nur das eigene Handeln und die Gestaltung im Kleinen. Die Rs oben sind für jemanden, der in Kontakt mit der Natur und der Mitwelt ist, selbstverständlich. In früheren Zeiten wurden Nahrungsmittel und Ressourcen, die die Natur schenkt, als etwas Heiliges verehrt. Solch eine Einstellung zu fördern wäre eine große und wichtige Erziehungsaufgabe.