Wir haben hier schon einen thread dazu, den hatte ich wohl übersehen.
Was spielt das für eine Rolle, wer das nun eingetippt hat? Er ist mit einem Stapel der Flugblätter in flagranti erwischt worden.
Laut der “SZ” sei das Flugblatt an der Schule weithin bekannt gewesen sein. Ebenso die Tatsache, dass Aiwanger als Verfasser dafür zur Verantwortung gezogen wurde. Ein Lehrer, der damals dem Disziplinarausschuss angehört haben soll, erklärte demnach, er habe den heutigen Spitzenpolitiker als überführt betrachtet, da in dessen Schultasche Kopien des Flugblattes entdeckt worden waren. Ein weiterer Zeuge erklärte der Zeitung, Aiwanger habe seine Urheberschaft seinerzeit nicht bestritten.
Man muss nicht erst mit dem Kopf in die Klärgrube, wenn die Kacke eh oben schwimmt.
Anders gesagt: was macht es für einen Unterschied? Es reicht doch, sich eine Rede von diesem Typen anzuhören, was ich übrigens niemandem raten möchte.
Am Abend berichteten dann die Mediengruppe Bayern und die Nachrichtenagentur dpa übereinstimmend, Aiwangers Bruder sei der Urheber gewesen. “Ich bin der Verfasser des in der Presse wiedergegebenen Flugblattes”, heißt es laut dpa in einer persönlichen Erklärung des Bruders. “Ich distanziere mich in jeder Hinsicht von dem unsäglichen Inhalt und bedauere sehr die Folgen dieses Tuns. Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war. Ich war damals noch minderjährig.”
Schwer zu sagen. Einerseit kann ich kaum glauben, dass den Journalisten der SZ so ein grober Schnitzer passieren würde. Andererseits müsste Aiwangers Bruder ihn wirklich lieben, wenn er die Schuld dafür fälschlicherweise auf sich nimmt.
Was wäre der Fehler der SZ gewesen? Fand die Berichterstattung sehr faktenbasiert. Sein Bruder profitiert von dessen politischen Stellung und seinem Einfluss, zudem hat er dabei selbst wenig bis nichts zu verlieren. Mit Liebe muss das gar nichts zu tun haben.
Scheinbar kann als gesichert betrachtet werden, dass er die Flugblätter zumindest verteilt hat. Unschuldig ist er also nicht.
Es kann natürlich durchaus sein, dass er das nur für seinen Bruder verteilt hat, Mittäter wäre er dann trotzdem.
Andererseits, war er damals 16. Mit 16 haben einige meiner Freunde überlegt, paramilitärische Ferienlager in der Pampe zu betreiben, um für die kommunistische Revolution zu trainieren. Zwei von denen sind jetzt promovierte Volkswirte, ein anderer Beamter. Ich kenne Aigner als gigantischen Idioten, aber im Detail mehr auch nicht. Wenn das jetzt der riesen Aufhänger sein soll und er ansonsten dumme, aber nicht antisemitische Aussagen getätigt hat, sollte man sich vielleicht fragen, ob das für den heutigen Politiker wirklich so relevant ist.
Wobei ich schon finde, dass es einen Unterschied macht, ob man ein gutes Leben für alle mit Gewalt erreichen will oder man “Landesverräter” ins KZ schicken will und sich dabei in übelst menschenverachtender Weise über das reale millionenfache Leid lustig macht.
Aber natürlich sollten wir davon ausgehen, dass Menschen reformierbar sind, erst recht mit 16. Die wichtigste Frage wäre daher in meinen Augen, ob Aiwanger eine glaubwürdige Reformation hingelegt hat. Und da er Politiker ist: nicht nur eine Reformation hin zu “den Inhalt finde ich jetzt auch ekelhaft und menschenverachtend” (Hallo Captain Obvious), sondern auch z.B. zum Umgang mit Fehlern (er sagt bezeichnenderweise nix dazu, warum er die Flugblätter verteilt hat bzw. streitet das sogar ab) und zum Umgang mit politisch Andersdenkenden.
Und ich habe ich jetzt nicht den Eindruck, dass er sich da in ausreichendem Maße geändert hat, wenn er sagt
dass „die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss“ […] Die Mitte der Gesellschaft werde, so Aiwanger, die „Berliner Chaoten vor sich hertreiben“ (Wikipedia)
Andererseits ist das so oder so antidemokratisch von ihm, egal was er in der Jugend gemacht hat. Es passt aber erschreckend gut zur damaligen Mentatlität.
Wie ich oben schon geschrieben hab, ich kenne ihn nur als inkompetenten, konservativen Winkeaugust aus Bayern, deswegen kann ich ihn nicht beurteilen.
Ich frage mich halt, was das ganze jetzt erreichen soll. Auch den Medien muss ja klar sein, dass die Geschichte isoliert betrachtet Nullinformation ist. Jungs machen dumme Scheisse, Schocker.
Relevant wäre es, wenn man zB einen roten Faden zeigen könnte. So von wegen “heute ist er verklausuliert, damals war er offen kaputt”, aber das sehe ich halt so nicht. D.h. entweder gibt es das nicht - dann hätten die Medien de facto Klatschpresse betrieben - oder es gibt diesen roten Faden, aber keiner hat ihn richtig aufgezeigt - dann haben die Medien ihren Job nicht gemacht.
Ich schreibe das ganze aus sehr-doll-nicht-Bayer und bekomme entsprechend nur am Rande was davon mit. Aber wenn er Anlass schon so groß berichtet wird, sollte die Einordnung mich eigentlich auch erreichen.
Die Aufgabe von Medien sollte es meiner Meinung nach nicht sein, etwas „zu erreichen“, sondern ganz einfach über etwas zu berichten bzw. aufzudecken, und das haben sie gut getan. Konsequenzen müssen andere ziehen: Parteikollegen, Opposition, Gesellschaft, Wähler. Den roten Faden in Aiwangers Karriere hat die SZ im Artikel Das Ausschwitz Pamphlet aufgezeigt.
Danke für den Link.
Das bezeichnende daran ist ja auch Aiwangers Umgang damit. Hätte ja auch ein: “Ja, ich war jung und dumm, habe aber inzwischen eingesehen wie falsch, menschenverachtend und antisemitisch das war. Ich entschuldige mich dafür und distanziere mich ausdrücklich von solchen Verhalten” werden können.
Der Bruder wird sich noch aergern das zugegeben zu haben. Glaubt doch kein Mensch die Story…
Der Bruder ist Waffenhändler. Ich glaube dem ist das ziemlich egal.
In bestimmten, waffenaffinen Kreisen könnte dieser menschenverachtende Dreck sogar wie Werbung wirken.
Hab mir das mal angesehen (SZ hats veröffentlicht: https://www.sueddeutsche.de/image/sz.1.6163003/640x360?v=1692979188). Das ist zwar definitiv menschenverachtend und geschmacklos, aber ich kann nicht so ganz erkennen, was daran antisemitisch sein soll. Ist “Vaterlandsverräter” in rechten Kreisen eine Chiffre für “Jude” oder sowas?
Sich über den Holocaust lustig machen sehe ich schon als Antisemitismus an… Aber klar kann man auch einfach nur geschmacklos ansehen.
Ich finde nicht, dass sich hier über den Holocaust lustig gemacht wird; ich lese das eher als “ich will, dass meine Gegner im KZ ermordet werden”; das ist ja eher ein endorsement. Und es ist ja auch nicht so, als wären im KZ ausschließlich Juden ermordet worden. Das ist ja schon schlimm genug, ohne dass man diesen Schritt zum Antisemitismus geht; mMn wird der Begriff des Antisemitismus dadurch dann auch verwässert, wenn jeder, der irgendwie mal was Nazi-mäßiges gemacht hat, “antisemitisch” genannt wird.
wenn jeder, der irgendwie mal was Nazi-mäßiges gemacht hat, “antisemitisch” genannt wird.
Ist das nicht… Kern des Nazi-Weltbildes?
Der Kern der Nazi-Ideologie sind der autoritäre Staat und der Hass gegen Andersdenkende und -artige. Gerade in einem Umfeld, in dem es überhaupt keine Juden gibt (was ich vom ländlichen Bayern in den 80ern stark annehme), ist Antisemitismus da nicht unbedingt das Hauptthema.
Du kannst den NS nicht von seinem Antisemitismus lösen. Der ist nämlich zentraler Bestandteil der Ideologie und der Propaganda.
Wir reden hier aber nicht vom historischen NS, sondern davon ob Aiwanger mit 16 antisemitisch war. Man kann NS toll finden, ohne sich für Juden zu interessieren.
Ich weiß nicht warum der autoritäre Staat immer in den Vordergrund gerückt wird. Das ist nur das Mittel zum Zweck. Im Vordergrund steht der Nationalismus. Aus dem gesteigerten Nationalismus folgen dann schon so ziemlich direkt alle anderen Sachen. Nationalismus is a hell of a drug.