Die alten BRD-Parteien kommen vor allem in der Mitte der Gesellschaft immer weniger an. Weil sie nicht an einem Strang ziehen, sagt Robert Vehrkamp.
taz: Herr Vehrkamp, die Zustimmung zur Regierung ist wirklich mies, aber wir wissen ja: Umfragewerte sind bloß Umfragewerte, und die politische Lage schwankt sowieso immer stärker. Warum also sollten uns Zustimmungszahlen interessieren?
Robert Vehrkamp: Weil sie zwar keine verlässliche Prognose für künftiges Wahlverhalten mehr sind, aber weiterhin Stimmungsbilder zeigen, die sich verfestigen und politisches Denken und Handeln dann auch prägen können – am Ende auch das Wahlverhalten.
Was lesen Sie aus den aktuellen Sinus-Studien ab, die Sie soeben ausgewertet haben?
Unser zentraler Befund lautet: Wir haben ein erkennbares Problem in der gesellschaftlichen Mitte. Die gesellschaftliche Mitte verliert an Zukunftszuversicht und wird dadurch empfänglicher für Populismus, wendet sich zunehmend von den etablierten demokratischen Parteien ab.
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Was mal wieder überhaupt nicht angesprochen wird ist, dass die allgemeine Unzufriedenheit sich zu einem großen Teil daraus speist, dass viele Menschen das Gefühl haben, bei Zugewinnen der Gesellschaft nicht angemessen beteiligt zu sein. Man muss sich ja nur mal die Entwicklung von Kapitaleinkünften im Vergleich zu Einkünften aus abhängiger Arbeit anschauen. Und welcher Anteil an den Staatseinnahmen aus ersteren und welcher aus letzteren kommt. Aber solche Themen werden ja bestenfalls von der Linkspartei ab und zu eingebracht und dann haben die nichts zu bieten als Lösungen aus dem realsozialistischen Gruselkabinett.
Deutschland war 2022 auf Platz 4 beim BIP. Das uns vorgekaut wird, dass wir uns eine Kindergrundsicherung nicht leisten können, halte ich da für den größten Hohn. Mal so abgesehen von so Luxusproblemen, dass ich es mir in meinem Leben wahrscheinlich nicht Leisten werden könne, mir mein Traumhaus zu kaufen.
Natürlich könnten wir uns mehr soziale Trostpflästerchen leisten, wenn wir denn wollten. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich die Superreichen ein immer größeres Stück vom Kuchen abschneiden und der Rest in die Röhre schaut.
Es geht ja nicht bloß um Kindergrundsicherung, sondern auch um andere Sozial- und Dienstleistungen vom Staat und das ist gerade, meine ich, das Stück Kuchen was der Allgemeinheit gerade von einigen wenigen vorgekaut wird. Aber das zu änder wäre ja böse Umverteilung und sowas kann ja keiner wollen…
Und gleichzeitig ist der Staat in weiten Teilen nicht funktionsfähig.
Wir sind momentan in der worst of both worlds Phase. Der Staat leistet so wenig wie beim Manchester Kapitalismus (bzw ist auf dem Weg dahin) steht aber gleichzeitig den Menschen im Weg wie kurz vor der Planwirtschaft.
Natürlich werden die Menschen dann unzufrieden.
Das ist sicher auch ein Faktor. Unser Staat ist weder zu groß, noch zu klein, sondern zu schlecht. Das hat aber natürlich auch mit der konsequenten Aushöhlung staatlicher Kompetenz durch “konservative” Politik zu tun.