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Der Mann brauchte 64 Euro für einen neuen Personalausweis. Er wollte damit Sozialhilfe beantragen. Er wurde zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt.
Heidelberg. Ein 60-Jähriger ist am Montag nach einem versuchten Banküberfall wegen räuberischer Erpressung vom Heidelberger Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Weil er sich bei dem Überfall derart dilettantisch anstellte, war schon nach wenigen Minuten alles vorbei. Verletzt wurde niemand.
Um kurz nach 10 Uhr am 24. Januar betrat der 60-jährige Heidelberger – bekleidet mit einer gelben Daunenjacke – die Volksbank-Filiale in der Kurfürsten-Anlage. Dort ging er zu einem der Schalter, bat eine 28-jährige Angestellte um Überweisungsträger, entfernte sich kurz, kritzelte “Überfall!” in Großbuchstaben auf einen davon, kehrte zurück und legte ihn der 28-Jährigen vor. Sie zerriss das Blatt vor Schreck und erklärte dem Senior, dass es am Schalter gar kein Bargeld gebe. Daraufhin öffnete er seine Jacke und zeigte der 28-Jährigen ein Brotmesser in der Innentasche. Sie erstarrte – und nach einem kurzen Wortwechsel verließ der 60-Jährige die Filiale wieder.
Die Bankangestellte drückte den Notfallknopf, keine 20 Minuten später nahm eine Polizeistreife den Mann in der Nähe des McDonalds gegenüber vom Carré fest. Dabei hätten die Polizisten den Senior, der inzwischen mit einem Rollator unterwegs war, beinahe laufen lassen. “Ich dachte, das kann er doch nicht sein”, erinnert sich einer der Beamten vor Gericht. Einer Eingebung folgend habe er ihn dann doch durchsucht und dabei das Küchen- und ein weiteres Messer gefunden. Der 60-Jährige habe sich kooperativ gezeigt, betont der Polizist. Das bestätigt auch ein Kollege, der von der späteren Vernehmung berichtet. “Er hat einen anständigen Eindruck gemacht”, sei redselig gewesen, nicht unbedingt gepflegt, habe aber nicht nach Alkohol gerochen. Der 60-Jährige gibt an, Alkoholiker, zum Tatzeitpunkt aber nüchtern gewesen zu sein.
Aufgewachsen in bürgerlichen Verhältnissen, lief es nicht immer rund im Leben des Angeklagten. Nach dem Abitur wollte er Medizin studieren, das klappte nicht, später folgten verschiedene Jobs, irgendwann rutschte er in die Alkoholabhängigkeit, schaffte aber den Entzug und war 16 Jahre lang abstinent. Vor ein paar Jahren ging es dann bergab, erst war der Job weg, dann die Wohnung. Die vergangenen zwei Jahre lebte der 60-Jährige in einer Obdachlosenunterkunft – unter prekären Bedingungen. Er fing wieder an zu trinken.
Der Senior zeigt sich umfassend geständig und reumütig. In seinen Schilderungen klingt aber auch immer wieder an, dass andere sein Schicksal mitverschuldet hätten: ein Kollege, mit dem er nicht klarkam, die narzisstische Mutter, die er mit Trump vergleicht, die Bank, die seine Miete einfach nicht überweist.
Seine Erklärung, was ihn an dem verhängnisvollen Morgen zu dieser “Wahnsinnsidee” trieb, verliest Verteidigerin Carolin Hierstetter: Es sei wohl eine Mischung aus “Not und Verzweiflung” gewesen. Eigentlich wollte der 60-Jährige finanzielle Unterstützung beantragen, benötigte dazu aber einen Personalausweis – und der war weg. Die 64 Euro, die er für einen neuen Ausweis gebraucht hätte, hatte er nicht – stattdessen aber “schlechte Erfahrungen” mit der Volksbank. Das Messer habe er nie zum Einsatz bringen wollen, beteuert der Senior vor Gericht. Trotzdem hat er die 28-jährige Bankangestellte so nachhaltig erschreckt, dass sie ihre Aussage am Montag unter Tränen macht.
Den 60-Jährigen nimmt es sichtlich mit zu sehen, wie aufgelöst die 28-Jährige noch Monate nach seiner Tat ist. Aus dem Gefängnis hat er ihr einen Entschuldigungsbrief geschrieben. Sie habe den Brief nur überflogen, nehme die Entschuldigung aber an, sagt die junge Frau.
Die Staatsanwaltschaft geht am Ende von einem minderschweren Fall aus, fordert aber drei Jahre Haft. Verteidigerin Hierstetter argumentiert im Plädoyer, dass der 60-Jährige von seiner Tat zurückgetreten sei und plädiert für eine noch mildere Strafe. Dieser Argumentation folgt die Kammer allerdings nicht. Dennoch verlässt der 60-Jährige den Gerichtssaal nach sechs Monaten Untersuchungshaft als freier Mann – noch vor der Urteilsbegründung weist der Vorsitzende Richter Jochen Herkle den Justizwachtmeister an, ihm die Fußfesseln abzunehmen. Wie es nun mit ihm weitergeht, ist offen. Der 60-Jährige sagt selber: “Mich erwartet nichts Gutes.” Er wirkt aber froh darüber, dass zu seinen Bewährungsauflagen gehört, sich regelmäßig an einen Bewährungshelfer zu wenden – und sich eine Wohnung zu suchen.
“Es ist ein minderschwerer Fall, weil der Angeklagte verzweifelt war, nach einem kurzen Wortwechsel gegangen ist, und sowohl Reue als auch Einsicht zeigt. Sperrt ihn 3 Jahre lang hinter Gitter!”